Konzept Northerion „Sky Above // Sea Below“
Unser Album „Sky Above // Sea Below“ erzählt ostfriesische Geschichte und Geschichten aus der Zeit zwischen dem 8. und 16. Jahrhundert. Einiges davon hat sich belegbar zugetragen, anderes ist wohl eher der Fantasie verschiedener Generationen entsprungen, und über die Jahrhunderte hinweg sind Wahrheit und Fiktion oftmals miteinander verschmolzen.
Aus der Chronologie heraus startet das Album mit dem Leben und Wirken des letzten Königs der Friesenlande, Radbod. Dieser verweigerte sich bis zu seinem Tod erfolgreich der Konversion zum Christentum und setzte sich immer wieder gegen die verfeindeten christlichen Franken zur Wehr. Hierzu zählt auch die siegreiche Schlacht gegen den fränkischen Majordomus Karl Martell bei Köln. Dieser wird in mancher Geschichtsschreibung als Retter des christlichen Abendlandes glorifiziert, gegen Radbod allerdings musste er mit dem Verlust von Köln seine einzige militärische Niederlage erleben.
In die Herrschaftszeit des Friesenkönigs fällt auch ein kläglich gescheiterter Missionierungsversuch durch Bonifatius. Noch Jahrzehnte nach Radbods Tod stieß der Missionar bei seiner Wiederkehr auf Widerstand und wurde in Dokkum (NL) von heidnischen „Freien Friesen“ getötet. Auch wenn Radbod militärische Niederlagen einstecken musste und zwischenzeitlich ins Exil auf die Insel Helgoland floh, starb er schließlich nach seiner Rückkehr und erfolgreichen Feldzügen als König eines in seiner vollen Größe wiederhergestellten Königreiches.
Der Sage nach soll Radbod eines Nachts auf seinem Pferd über das Meer davongeritten und niemals gestorben sein. Wenn sich über der Nordsee der Sturm erhebt, dann reitet er dort noch heute auf den Wellen. Damit trägt die Sagengestalt Radbod Züge der germanischen Gottheit Wotan. Hier hat sich, wie so oft im Volksglauben, Mythologie ausgestorbener Religion mit Geschichte vermischt und sie dadurch ein Stück weit erhalten.
Die ersten zwei Songs „To The Raging Tides“ und „Warriors“ basieren auf eben diesen Erzählungen.
Der Song „The Valkyries‘ Wings“ erzählt von der Schlacht von Nordendi, die sich am 25. Dezember 884 ereignete. Das zu diesem Zeitpunkt bereits christianisierte Ostfriesland wurde immer wieder Opfer einfallender Wikingerhorden. In Koalition mit dem Bischof von Bremen vertrieben die Ostfriesen die Plünderer für alle Zeit von ihren Küsten. In dieser Schlacht sollen 10.000 Wikinger ihr Ende gefunden haben – viele davon nicht ehrenhaft im Kampf, sondern auf der Flucht und überrascht von der Flut im Meer ertrunken.
„Under A Blazing Sky“ widmet sich der wohl populärsten weiblichen Figur der ostfriesischen Geschichte, Foelke Kampana. Sie war die Frau des Häuptlings Ocko tom Brook. Ihre Tochter wurde im Jahr 1397 von ihrem Ehemann Lütet Attena von Dornum und dessen Vater Hero wegen angeblichen Ehebruchs erwürgt und erschlagen. Daraufhin begann Foelke Kampana einen Rachefeldzug gegen die Schlächter ihrer Tochter. Dieser endete damit, dass sie deren Burg einnahm und beide Männer enthauptete.
In vielerlei Volkssagen wurde sie zum Sinnbild einer grausamen und sadistischen Frau stilisiert, manche Erzählungen tragen Motive der Legenden um die „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory. Eine andere Legende besagt, dass ihr Geist den zu Unrecht zum Tode Verurteilten im Gefängnis erschien, um ihnen Trost zu spenden.
„Now That The Night Falls“ ist eine Liebesgeschichte zur Zeit der in Ostfriesland Einzug haltenden Hexenprozesse, vor dem Hintergrund der beginnenden Reformation und der Eingliederung Ostfrieslands in das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Die in Ostfriesland vormals noch gültige germanische Rechtstradition bot keine Grundlage für die Erzwingung von Geständnissen durch Folter oder die Verbrennung von Verurteilten. So kam es zu der kuriosen Situation, dass erst Anfang des 16. Jahrhunderts, mit dem weitgehenden Untergang des Katholizismus in Ostfriesland, die ersten Scheiterhaufen aufloderten. Der Glaube an Hexen und andere Naturgeister war zwar auch vorher im Volksglauben verbreitet gewesen, doch traten diese mal als gute und mal als böse Geister auf, wie andere Sagengestalten auch. Erst die Hexenverfolgung löste eine regelrechte Hexenphobie aus, die viele unschuldige Menschen, zumeist alleinstehende Frauen, das Leben kostete. Je nach Wahl des Hexenbeweises hatte der Prozessführer hierbei Einfluss auf den Ausgang des Prozesses. So konnte eine Frau gegen eine Gans aufgewogen werden, denn eine Hexe sei leichter als eine Gans. Aber eine Hexe konnte auch im kalten Fluss versenkt werden. Überlebte sie, war sie eine Hexe. Starb sie, war sie unschuldig.
Dem Erzähler des Songs wird seine Liebste durch einen solchen Prozess genommen. Bis zum Ende ist er sich nicht sicher, ob sie nicht doch eine Hexe war, doch dieser Gedanke erfüllt ihn eher mit Faszination und lässt ihn sie noch mehr lieben.
Die Songs „The Omen Of Fire“ und „Last Alliance“ widmen sich dem Kampf der drei großen Häuptlingsfamilien tom Brook, Ukena und Cirksena um die Vorherrschaft über Ostfriesland zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Durch die Erweiterung des Machtbereichs von Ocko II tom Brook und den daraus resultierenden Anspruch, sich Herrscher von Ostfriesland zu nennen, fühlte sich Focko Ukena bedroht und schloss mit dem Bischof von Münster und anderen ostfriesischen Häuptlingen ein Bündnis gegen ihn. Dieses Bündnis schlug das Heer der tom Brooks vernichtend in der „Schlacht auf den wilden Äckern“. Ocko II tom Brook war der letzte Spross dieser ostfriesischen Häuptlingsfamilie, und mit ihm starb das Geschlecht der tom Brooks aus.
In der Folge jedoch beanspruchte Focko Ukena, entgegen seiner ursprünglichen Versprechungen an die freien friesischen Bauern, die Herrschaft über Ostfriesland für sich. Unter der Führung der Familie Cirksena entstand mit der Hanse ein neues Bündnis: der „Bund der sieben freien Seelande“. Da ostfriesische Häuptlinge immer wieder Freibeutern Unterschlupf gewährten, die Handelsschiffe der Hanse ausraubten, war diese nämlich an einer Änderung der Machtverhältnisse in Ostfriesland durchaus interessiert. Dem Bündnis gelang der Sieg über das Haus Ukena, das, seiner Herrschaft beraubt, in der Bedeutungslosigkeit versank.
Ulrich Cirksena wurde Häuptling von Ostfriesland und schwor dem deutschen Kaiser Lehenstreue. Er wurde in den Stand des Reichsgrafen erhoben, die Unabhängigkeit Ostfrieslands vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation endete und mit ihr auch die „Friesische Freiheit“.
„When The Blade For Us Will Fall“ erzählt die Geschichte der Vitalienbrüder um Klaus Störtebeker. Sie fanden Unterschlupf bei den friesischen Häuptlingen und verdingten sich auch bei manchen als Söldner. Alles, was sie an Beute machten, teilten sie zu gleichen Teilen, weshalb sie in Ostfriesland auch „Liekedeeler“ (Gleichteiler) genannt werden. Sie akzeptierten keine weltliche Autorität über sich und glaubten, dass nur Gott alleine das Recht habe, sie zu richten. Sie sahen sich als „Gottes Freund und aller Welt Feind“.
Nach seiner Ergreifung soll Klaus Störtebeker erbeten haben, nach seiner eigenen Hinrichtung all jene Männer zu verschonen, an denen er ohne Kopf vorbeilaufen würde. An elf Männern soll er nach seiner Enthauptung vorbeigelaufen sein, bevor der Scharfrichter ihn zu Fall brachte. Der Bürgermeister von Hamburg jedoch brach sein Wort und ließ schließlich alle Gefolgsleute Störtebekers hinrichten.
„She, The Ocean“ erzählt als letzter Song keine Geschichte mehr, sondern ist vielmehr eine in sich gekehrte Reflexion der Geschehnisse, wie das langsame Erwachen aus einem Traum und das Hinübergleiten in den nächsten, eine Ode an die Unbeständigkeit der See und die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens.